Weihnachten in Togo - "Noel pour les enfants" - "White Saviourism"
29/04/2024
"Noel pour les enfants" 2023
Die Weihnachtsaktion "Weihnachten für Kinder" im YMCA-Atakpamé
Weihnachten in Togo und meine Gefühle und Gedanken dazu
Weihnachten oder genauer gesagt Heiligabend ist ein Fest, welches weltweit gefeiert wird, wobei jedes Land seine eigenen Traditionen entwickelt hat. In Deutschland geht man typischerweise in die Kirche und verbringt den Abend mit der Familie und natürlich gibt es die Geschenke unter dem Weihnachtsbaum. Neben dem Weihnachtsbraten und kleineren Traditionen wie dem Adventskalender verbindet man die Vorweihnachtszeit mit Familienzeit und dem Adjektiv "kuschelig", weil draußen idealerweise Schnee liegt. Dieses Jahr war dies, glaube ich, nicht der Fall. So gibt es natürlich jährliche Abweichungen, wie man genau Weihnachten verbringt und wie die Umstände sind.
Bei mir gab es 2023 keine "gemütliche, kuschelige" Weihnachtszeit mit Zimtgebäck und Vanillekipferl. Stattdessen habe ich den gesamten Dezember damit verbracht, unsere Weihnachtsaktion "Noel pour les enfants" ("Weihnachten für Kinder"), die im YMCA-Atakpamé stattfand, mit Paula vorzubereiten. An sich war das eine sehr erfüllende und spannende Aufgabe, in der wir viel Zeit mit den Animateuren in die Planung investiert haben. Andererseits war es stressig, denn eine Aktivität für rund 500 Kinder lässt sich nicht innerhalb von ein paar Tagen vorbereiten. Ich denke, dass ist logisch und somit ähnelt sich der Vorweihnachtsstress - wenn er sich auch auf einem anderen Niveau befindet. Ich weiß natürlich, dass man Stress und schon gar nicht solch unterschiedliche Lebenssituation nicht vergleichen sollte - doch manchmal finden man Parallelen, die Rückschlüsse auf die aktuelle Gefühlslage zulassen.
Im Dezember 2023 war es in Atakpamé durchgängig sehr warm mit über 35°, wodurch man immer ein Sommergefühl in sich trägt. Doch auch in Togo gibt es verschiedene Zeiten bezogen auf das Wetter. So gab es im im Dezember und Januar den sogenannten "Harmattan". Dies ist ein Wind, der in diesen zwei Monaten von der Sahara in Richtung Süden (also auch in Richtung Togo) weht und so viel Wüstensand mitbringt. Deshalb war die Luft des Öfteren diesig und staubig, sodass man nicht soweit schauen konnte. Und rückblickend war die Natur tatsächlich weniger grün, da es trockener war.
Aus meinen Erfahrungen kann ich sagen, dass in Togo Weihnachten nicht besonders "krass" gefeiert wird. Es gibt keinen Weihnachtsschmuck überall und es laufen keine Weihnachtslieder auf dem Markt. Einerseits ist es sicherlich der Armut geschuldet, doch andererseits muss man kein Spektakel aus dem Weihnachtsfest machen. Vielleicht ist dies keine bewusste Entscheidung der Togolesen, doch so besinnt man sich auf die Intention, weshalb Jesus Christus auf die Welt gekommen ist. Er kam ja auch nicht mit einem Weihnachtsbaum und in einem roten Kostüm, oder?
Natürlich war es eine Umstellung für mich, nicht das "typische Weihnachtstamtam" im Advent zu haben, was vom Sinn Heiligabends ablenkt. Es war etwas traurig und doch auch erleuchtend, zu erleben, wie andere Kulturen eine gewisse Zeit im Jahr verbringen - oder auch nicht. Meine Gastfamilie hat Weihnachten beispielsweise gar nicht gefeiert. Es war ein Tag wie jeder andere auch für sie. Damit muss man umgehen lernen, wenn man keinen egoistischen Aufstand machen möchte. Wie heißt es so schön: "Jeder Tag kann ein Fest (der Liebe) sein". Diese Erklärung soll keine Diskreditierung einer Feier sein, doch erinnert es daran, die Botschaft der Vergebung immer zu erleben und nicht nur einmal im Jahr.
Die Vorbereitungen für "Noel pour les enfants"
Um trotzdem ein kleines vorweihnachtliches Gefühl auf der Arbeit zu haben, haben Paula und ich einen kleinen Weihnachtsbaum aus Plastik gekauft. Man stellt sich halt ein bisschen um und lernt Alternativen kennen. Im YMCA haben wir einen Tag eine große Putzaktion gestartet, damit die Räumlichkeiten auch bereit sind. Was nicht fehlen durfte, waren die Flyer, die wir bei Instagram sowie Facebook und in unserem WhatsApp-Gruppen veröffentlicht haben. So konnten viele Spenden eingenommen werden, um entsprechende Materialien einzukaufen. Am 21. Dezember beispielsweise haben wir alle "Geschenke" für die Kinder gekauft: Spaghetti, Reis, Kekse und Bonbons. Am 22. Dezember haben wir dann 500 Geschenke-Kits gepackt, wobei glücklicherweise alle Animateure mitgeholfen haben. Selbstverständlich haben wir einen Plan für das Programm von "Noel pour les enfants" entworfen und es mehrmals bearbeitet, bis alle damit einverstanden waren.
Die Aktion "Noel pour les enfants"
Insgesamt dauerte unsere Weihnachtsaktion zwei Tage: Freitag, den 22.12. und Samstag, den 23.12.2024. Freitag, der 22. Dezember begann mit einer "formation" ((Aus-) Bildung) der Animateure, um sie mental auf die Aktivität vorzubereiten. Mittags haben wir gemeinsam gegessen. Am Nachmittag gab es für die Kinder verschiedene Workshops oder Stände: Zeichnen, Malen, Gesichtsmalerei, das Gestalten von Armbändern aus Perlen, Spiele wie UNO, "Mensch, ärger dich nicht" oder Scrabble und natürlich die sehr beliebten Tischkicker, die hier "bébéfoot" genannt werden. Jeder Stand hatte einen verantwortlichen Animateur und es gab Animateure, die überall mitgeholfen haben. So hatten die Kinder die Möglichkeit, Verschiedenes zu machen, bevor wir dann mit den großen Gruppenspielen angeleitet haben. Dazu gingen wir auf die Straße vor dem YMCA-Gebäude und haben einen Kreis gebildet. Ein Animateur stand in der Mitte des Kreises an Kindern und hat ein Gruppenspiel erklärt und dann animiert, sodass die Kinder Spaß haben, Neues lernen und eine tolle Gruppendynamik genießen können. Die Spiele wurden wie jede Animation mit einem Tanzwettbewerb beendet, wobei es jedes Mal sehr amüsant zu beobachten ist, wie gut teilweise schon kleine Kinder tanzen können. Das meine ich als Lob und gilt als absolute Wertschätzung ihrer Tanztalente, die ich nur bestaunen kann.
drei Fotos der großen Gruppenspiele auf der Straße vor dem YMC-Gebäude
Am Samstag, den 23.12 bin ich mit einigen Animateuren auf eine Wanderung am Morgen bzw. Vormittag gegangen. Neben dem Stress, den so eine Aktion mit sich bringt, ist eine willkommene Abwechslung, in die Natur zu gehen und für zwei Stunden abzuschalten. Selbstverständlich sind auch ein paar Animateure mit Paula im YMCA geblieben und haben aufgeräumt und schon mal etwas vorbereitet. Mittags gab es erneut eine kleine "formation", um alle emotional zu stärken. Danach haben wir wieder Spiele mit der großen Gruppe an Kindern gespielt. Danach gab es eine Sensibilisierung zu Weihnachten, um die Geschichte dahinter zu erzählen.
Anschließend habe ich mich als "Weihnachtsfrau" in einem roten Kostüm verkleidet und habe alle Kinder begrüßt. Dabei haben sich die Kinder sehr gefreut und besonders als jedes der 500 Kinder eine Geschenketüte bekommen hat, sind die Augen vor Freude groß geworden. Das erwärmt einem das Herz und unsere Erleichterung war riesig, als wir am Ende - nachdem wir Kinder nach einem großem Gruppenfoto nach Hause geschickt haben - bemerkt haben, dass keine Kinderhände leer ausgegangen sind. Vom letzten Jahr haben wir erfahren, dass die Geschenke nicht ausgereicht haben und deshalb waren wir umso froher, dass es dieses Jahr diesbezüglich keine Traurigkeit gab.
los geht's als Weihnachtsfrau
Ein kleiner Exkurs zum Thema "White Saviourism"
Was ich noch ansprechen möchte ist das sogenannte "White Saviourism", das "Weiße Rettertum". Es ist eine Bezeichnung für den Akt, dass Menschen weißer / heller Hautfarbe aus Europa und Nordamerika in bestimmten afrikanischen Kulturen als "Retter" gesehen werden (können). Es entsteht das Bild einer Abhängigkeit, in welchem dem "weißen Retter" eine Rolle der Überlegenheit gegeben wird, in der er "armen Afrikanern" hilft und sie aus einer "schlimmen Situation" rettet. Es wird vermittelt, dass man aufgrund der Hautfarbe bessere oder schlechtere Voraussetzungen hat, um Hilfsbereitschaft zu üben. Dabei sind viele Sachen problematisch und kritisch zu betrachten. Wenn ihr bis jetzt (noch) nicht damit in Berührung gekommen seid oder es aus den unterschiedlichsten Gründen nicht bemerkt habt, dann möchte ich euch gern hierbei eine Perspektive geben, die wichtig zu betrachten ist, bei post-kolonialen Sachverhalten.
Die Länder Westafrikas wie Sierra Leone, Ghana, Togo, Benin und Weitere waren im 19. und 20. Jahrhundert europäische Kolonien. Togo insbesondere war von 1885 bis 1914 deutsche und dann französische Kolonie und ist seit 1960 ein unabhängiger und eigenständiger Staat. Dadurch hat die Bevölkerung des Landes unendliche viel Missbrauch, Ungerechtigkeit und eine wirtschaftliche Abhängigkeit "erhalten". Das Land sowie dessen Einwohner wurden kolonisiert und dann sind die Kolonialmächte aus dem aktiven, öffentlichen Leben wieder verschwunden und haben ein wirtschaftlich kaputtes Land zurückgelassen, was sich seitdem ökonomisch nicht erholt (hat). Dadurch ist die Armut eine vorherrschende Tatsache, die jedoch nicht dazu führen sollte, dass man Mitleid mit den Togolesen empfindet. Warum? Ganz einfach weil es den Menschen in dem Moment nichts bringt und die Person, die diese Emotion fühlt, in eine Position rückt, die sie überlegen erscheinen lässt. Warum erlauben wir uns, über die Einwohner Togos zu urteilen? Was ermächtigt uns dazu? Was bringt es uns, das Land und die Kultur zu analysieren? Diese Fragen werde ich jetzt nicht beantworten, doch darüber sollte man nachdenken - insbesondere wenn man hier eine gewisse Zeitspanne verbringt.
Ich spreche immer wieder von einer "Überlegenheit". Ich tue dies nicht, weil ich dieser Überzeugung bin, sondern weil ein Bild dessen erzeugt wird und in der Vergangenheit tatsächlich dieses Gedankengut verbreitet war. Aber was hat das mit "White Saviourism" zu tun? Wir wissen mittlerweile, dass die Kolonialmächte unendlich viel Leid bei den Bewohnern der ehemaligen Kolonien verursacht haben, weshalb ein Schuldgefühl bei "uns" entstehen kann. Die Legitimation dessen wird auch hier jetzt kein Thema sein. Stattdessen ergibt sich daraus das Bedürfnis, "es wieder gut machen zu wollen". Bei dem gefühlten Bedürfnis, "Schuld früherer Generationen zu tilgen", erliegt man einer Illusion, die kein Mensch allein erfüllen kann - ich denke nicht, dass alle verantwortlichen Staaten und deren Geld die Fehler der Kolonialzeit "vergessen machen" kann. Gleichzeitig gibt es bei den Togolesen (und Ghanaern) die Ansicht, dass Personen aus Deutschland und anderen reichen europäischen Ländern viel Geld haben, was sie abgeben und womit sie sich viele Dinge leisten können. So werden "wir" - Konsumenten des Wohlstandes - auf ein Podest gestellt und dieser Gedanke macht den Graben zwischen "Arm und Reich" noch weiter. Dabei wollen wir uns doch annähern, oder nicht?
Darüber hinaus ist nicht nur die Sichtweise auf "White Saviourism" entscheidend, sondern auch die Darstellung einzelner Personen oder von Personengruppen. Dabei geht es darum, wie sich weiße Personen inszenieren. Konkret geht es um Beiträge im Internet, auf Blogbeiträgen wie diesem, in Artikeln in der Zeitung, auf Fotos in den Sozialen Medien oder während Präsentationen über das Erlebte oder Gesehene. Ist die weiße Person als "Retter" dargestellt, wenn sie beispielsweise eine Schokolade oder ein Brot für ein schwarzes Kind kauft? Oder wird betont, wie arm die Kinder aussehen und dass man deshalb 200€ gespendet hat? Solche Darstellungen vermitteln ein verzerrtes Bild der Realität und sollten weder in einer Opfer- oder Täterrolle münden.
Es gibt viele Vorurteile auf beiden "Seiten" und letztlich sind wir doch alle Menschen, die von Gott geliebt werden. Deshalb habe ich mich entschieden, die Weihnachtsfrau an "Noel pour les enfants" zu spielen. Ich weiß, dass ich genau die Idee einer reichen Person, die ihren Wohlstand an Arme verteilt, bediene. Ich lehne dieses Bild der Abhängigkeit ab und möchte doch gleichzeitig nicht auf meinem Reichtum und dem "hohen Ross" allein sitzen bleiben. Es kommt also vor allem auf die Geste und die Intention dahinter an. Es muss nicht alles kritisch gesehen werden und nicht alles ist schlimm oder schlecht. Ich will auch nicht Güter, die nicht mehr dem neuesten Trend entsprechen, einfach in einem ärmeren Land abladen und mich von meiner Schuld befreien. Mein Wunsch ist, den imaginären Graben zwischen der deutschen und togolesischen Kultur zu überwinden und das ist niemals leicht und klingt vielleicht utopisch.
Übrigens arbeite ich bewusst mit den Anführungszeichen, um zu verdeutlichen welche Formulierungen ich nicht unterstütze oder bei denen sich die "Allgemeinheit" darauf geeinigt hat oder auch wo meine Ausdrucksweise begrenzt ist.
Ihr merkt, dass es viele viele viele Gedanken gibt, die mich in meinem Freiwilligendienst beschäftigen. Und es sind nicht nur meine Gedanken. Es sind Gedanken von Freiwilligen in Togo, Ghana und weiteren Ländern, wo es ein Gefälle zwischen zwei Kulturen gibt, welches dazu einlädt, es zu bekämpfen oder daran zu scheitern. Beide Wege sind okay - scheitern ist okay, denn nach diesem Jahr ist unser Leben nicht zu Ende und ebenso der Kampf kann Kraft kosten. Auch der Mittelweg ist nicht immer erfolgreich, bietet aber die Gelegenheit, ein bisschen von allen Perspektiven ins Herz aufzunehmen.
Ich hoffe, diese Gedanken erschlagen euch nicht, sondern geben euch einen Einblick in die Welt interkultureller Volontariate. Übrigens sind wir abends an Weihnachten in die Kirche gegangen und ein oder zwei Tage später auf einen Weihnachtsmarkt (der eigentlich nur zum trinken, tanzen gedacht war) gegangen. So haben wir die Zeit mit Freunden genossen und auf einer uns vorher unbekannten Ebene war es ein lebendiges Fest der Liebe.
Ein pathetischer Abschied meinerseits: Tut das, was euer Herz euch sagt und was euer Herzenswunsch ist. In diesem Sinne bis zum nächsten Mal :)
Eure Margareta in Atakpamé
Kommentare
Kommentar veröffentlichen